Letzte Woche erreichte mich der eilige Anruf eines Klienten. Er war von London nach München unterwegs und auf einem Zwischenstopp in Frankfurt, hatte gerade 2 Stunden „Luft“ zwischen seinen Terminen und so – erfahren und offensichtlich geübt im straffen Zeitmanagement – hatte er die Idee, seine Zeit sinnvoll zu nutzen. „Ich brauche dringend Unterstützung – ich muss mein Leben neu sortieren. Haben Sie Zeit?“
Coaching hat sich auf dem deutschen Markt als Lebens- und Krisenhilfe durchgesetzt. Doch auch hier hinterlassen die Zeichen der Zeit – oder besser des Zeitgeistes – Ihre Spuren. Von erfahrenen und versierten Coachs darf man mittlerweile einiges erwarten: Karriere-Coaching „on the go“ also „im Vorbeigehen“, Beziehungsmanagement-Hilfen am Handy, Familienberatung beim Nordic Walking, Work-Life-Balance-Optimierung während des Fluges online per email, „Quicky“-Coaching zwischen zwei Geschäftsterminen und Notfall-Termine auch spät abends und am Wochenende. Heißt: zwischen Tür und Angel ein paar gute Fragen gestellt, damit der Klient den nächsten Schritt bzw. die nächsten Schritte wieder selbständig gehen kann.
Auch ich stelle mich gelegentlich zur Verfügung, wenn „mal eben kurz“ eine Hilfestellung gesucht wird. Und es mag sinnvoll sein, um einen akuten Leidensdruck zu lindern, die Jetzt-Situation zu entschärfen und wieder Licht am Horizont sehen und Energie für die nächsten Aktionen bereitstellen zu können. Doch auch oder gerade in unserer Gesellschaft, in der die Geschwindigkeit von technischen und sonstigen Entwicklungen rasant zunimmt, immer mehr und immer größere Projekte auf uns zusteuern und die Seele immer weniger in der Lage ist, alles auf uns Einstürmende adäquat zu verarbeiten, scheint es mir an der Zeit, diesen Tendenzen auch gelegentlich Einhalt zu gebieten und den Klienten auf andere Möglichkeiten hinzuweisen.
Wie wäre es einmal mit anhalten, durchatmen und sich Zeit für die wesentlichen und wichtigen Schritte in unserem Leben zu nehmen?
Was genau läuft uns davon, wenn wir es nicht tun?
Wir sind es mittlerweile schon gewohnt, zu keiner Sekunde Leerlauf zu haben. Im Job jagt eine Lieferfrist die nächste, die Freizeit ist ebenso eng durchstrukturiert und wir versuchen, möglichst viele Dinge gleichzeitig zu erledigen. Wir telefonieren beim Autofahren, essen beim Gehen, und bügeln beim Fernsehen. Wer nicht multitasking-fähig ist, vergibt sich Chancen. Jedenfalls sollen oder wollen wir das glauben. Und wenn Sie sich jetzt dabei ertappen, dass Sie den Gedanken interessant finden und darüber nachdenken wollen, wenn Sie erst das, was gerade noch zu Ende gebracht werden muss, beendet ist, dann versuchen Sie es mal mit einem vehementen „Stopp!“. Nach diesem Projekt wird das nächste sich ankündigen, ein neues „Wenn erst…dann…“ wird sich Ihnen in den Weg stellen. Wie wäre es, die Wenn-dann-Kette einmal zu unterbrechen?
Der Preis für unser Verhalten ist für manche sehr hoch: Wir leben von einem „wenn erst… dann.“ zum nächsten. Wir verschieben unsere Ruhe-, Trödel- und Besinnungszeiten auf morgen. Und auf übermorgen. Tagträumen wird uns fremd, innere Ruhe wird durch innere Unruhe ersetzt. Oder ist Ihnen letztens auf dem Sofa nicht auch der Gedanke gekommen, dass Sie eigentlich statt faul rumzusitzen noch die Spülmaschine ausräumen sollten? Wir müssen immer etwas tun. Wenn uns von außen keiner treibt, haben wir ja noch den inneren Antreiber. Der weiß, dass „wer rastet, der rostet…“.
„In der Ruhe liegt die Kraft“ haben schon meine Großeltern zu mir gesagt. Sollten sie so Unrecht gehabt haben?
Lesen Sie den Artikel aus der August-Ausgabe des Magazins „Lebens-t-räume“ hier weiter.